Welche Psychotherapieverfahren gibt es?

In Deutschland gibt es vier psychotherapeutische Verfahren, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.

Diese lauten: Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie (oder auch kognitive Verhaltenstherapie) und die systemische Therapie. Alle anderen Verfahren müssen  privat bezahlt werden, hierfür kommen die Krankenkassen i.d.R. nicht auf.

 Ich werde versuchen, Ihnen einen kurzen Überblick über diese Verfahren. Ich selbst habe mich in kognitiver Verhaltenstherapie spezialisiert.

 

Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie ist ein modernes und wissenschaftlich belegtes Psychotherapieverfahren.

Sie konzentriert sich vor allem auf die aktuelle Problematik, berücksichtigt zwar auch die Biographie und lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, fokussiert aber stärker, wie Menschen im Hier und Jetzt, mit der jeweiligen Problematik besser umgehen können.  

Ein Leitsatz der Verhaltenstherapeuten lautet: "Was man gelernt hat (z.B. Angst vor bestimmten Situationen oder die Unfähigkeit, „nein“ zu sagen), kann man auch wieder verlernen". Um neues Verhalten zu erlernen und idealerweise positive Erfahrungen damit zu machen, bedarf es natürlich an Übung. Deshalb betonen Verhaltenstherapeuten gerne, dass ein Großteil der Therapie außerhalb der eigentlichen Therapiestunden stattfindet, nämlich in Form von Übungsaufgaben zwischen den Sitzungen.

 

Psychoanalyse

Die Psychoanalyse kann mitunter sehr umfangreich sein. In der Regel dauert sie mehrere Jahre und findet gewöhnlich 2-mal wöchentlich (zu Beginn auch häufiger) statt. Der Patient befindet sich in liegender Position, so dass er den Therapeuten nicht sieht und dadurch mehr in sich selbst eintauchen („frei assoziieren“) kann.

Der Psychoanalytiker interagiert deutlich weniger mit dem Patienten als der Tiefenpsychologe oder der Verhaltenstherapeut. Die Psychoanalyse stammt von Siegmund Freud. Hier geht es v.a. um frühkindliche Erfahrungen und unbewusste Konflikte, die früher mit wichtigen Bezugspersonen bedeutsam waren und heute, im Kontakt mit anderen Personen, eine wichtige Rolle spielen. Daher wird vor allem auch die Beziehung zum Therapeuten besonders herausgestellt.

 

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie entstammt der Psychoanalyse und entspricht quasi einer modernen Abkapselung dieser. Auch hier geht es insbesondere um die Erarbeitung der eigenen Biographie, der Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen und auch zum Psychotherapeuten.

 

Systemische Psychotherapie

Die systemische Therapie nimmt das gesamte System einer in Behandlung kommenden Person in Betracht. Ein System kann sich auf die Familie, die Arbeit oder Schule und auch auf den Freundes- und Bekanntenkreis beziehen. Im Zentrum des therapeutischen Bezugs steht also nicht nur die psychisch kranke Person sondern auch das jeweilige System, dass sie umgibt und einen direkten/wechselseitigen Einfluss auf die psychische Erkrankung der zu behandelnden Person hat. Die systemische Therapie kann somit entsprechend auch im "Mehrpersonensetting"     stattfinden.  

 

Stundenkontingente und Bewilligungsschritte

Je nach gewählten Psychotherapieverfahren gibt es unterschiedliche Stundenkontingente. 

Wie viel genau, kann man der Homepage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entnehmen. 

 

Konkretes verhaltenstherapeutisches Vorgehen

 

Wie werden psychische Erkrankungen verhaltenstherapeutisch behandelt?

Psychotherapeuten orientieren sich an den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (kurz: AWMF). Diese Leitlinien bilden den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Wirksamkeit aktueller Verfahren bei verschiedenen psychischen Erkrankungen ab, wobei eine S3-Leitlinie der höchsten Entwicklungsstufe entspricht. Die Leitlinien der AWMF werden regelmäßig überarbeitet. Sie geben einen sehr guten Überblick darüber, welche Methoden bei der welcher psychischen Erkrankung auf wissenschaftlicher Basis empfohlen werden können und auch wie gut letztendlich diese Empfehlung selbst ist (bspw. ob die Empfehlung auf Basis guter und hoher Studienlage ausgesprochen wird oder aufgrund einer Konsensbildung einzelner Experten).

 

Die Verhaltenstherapie hält viele verschiedene therapeutische Interventionen bereit, die vor dem Hintergrund der jeweiligen Erkrankung und der ganz individuellen Problem-, Verhaltens- und Lebensanalyse Anwendung finden können.

 

Die ersten Schritte... 

Als Erstes wird im Rahmen einer Verhaltenstherapie versucht das Problem zu verstehen, mit dem jemand in Therapie kommt und dies vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und seiner Lernerfahrungen. 

 

Damit beginnt der diagnostische Prozess, bei dem zunächst untersucht wird, ob überhaupt eine psychische Erkrankung vorliegt. 

Welche Symptome liegen seit wann genau vor? 

Wie intensiv sind diese Symptome? 

Wie wird die Person in ihrer Lebensführung beeinträchtigt? Wie hoch ist der Leidensdruck? Ergeben die Symptome zusammen das Vorliegen einer psychischen Erkrankung?

 

In einem zweiten Schritt wird ein Störungsmodell erarbeitet, indem die Entstehungsfaktoren der psychischen Erkrankung und auch die aufrechterhaltenden Faktoren beschrieben werden. Es wird versucht die Fragen zu beantworten, weshalb man gerade jetzt erkrankt (die Ursachen und die Auslöser; Faktor: Entstehung) und weshalb diese Erkrankung nicht einfach weggeht (Faktor: Aufrechterhaltung). Letztere Frage mag komisch anmuten, aber einige (nicht alle!) psychische Erkrankungen haben tatsächlich eine gar nicht so geringe Spontanremissionsrate. Das heißt die Erkrankungen verschwinden ohne jegliche Therapie (sie "remittieren"/ bilden sich zurück) und das ganz spontan. Leidet man unter einer potenziell schweren psychischen Erkrankung sollte man allerdings nicht auf eine Spontanremission vertrauen, das Risiko dass sich hier eine chronische Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen entwickelt sollte unbedingt vermieden werden. 

 

Die Analyse, was die Erkrankung ausgelöst hat und warum sie nicht einfach so verschwindet benötigt meist etwas Zeit. Patienten werden in einer Verhaltenstherapie zur Selbstbeobachtung und Selbstreflektion angeleitet. Es gilt die eigenen Gedanken, Überzeugungen (über sich, die Welt), Gefühle und Verhaltensweisen/Handlungen wahrzunehmen, zu begreifen und dahingehend zu untersuchen, welche Vor- und welche Nachteile (d.h. Konsequenzen) sie besitzen (sowohl kurzfristig als auch langfristig). 

 

Wissensaustausch unter Experten 

Jeder Patient ist Experte seiner Erkrankung, niemand weiß besser wie sich die Beschwerden anfühlen als der Patient selbst. Der Therapeut ist ebenfalls Experte, er gibt den aktuellen Forschungsstand wieder. So treffen zwei Experten aufeinander, die auf Basis ihres Wissens und ihrer Erfahrungen einen Behandlungsplan aufstellen. 

Seitens des Therapeuten folgt die Vermittlung von Störungswissen (Informationen zur Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten, Wirksamkeit, Auftreten von Nebenwirkungen etc.). Der Patient oder die Patientin sollte wie bei körperlichen Erkrankungen auch umfassend über die eigene Erkrankung und die Behandlungsmöglichkeiten/ Grenzen/ Nebenwirkungen aufgeklärt sein. Auch eine Psychotherapie kann Nebenwirkungen haben, bspw. eine meist nur anfängliche Symptomverstärkung oder Probleme bzw. notwendige Änderungen im zwischenmenschlichen Bereich. 

 

Gemeinsame Zielfindung

Als Nächstes werden dann gemeinsam die Ziele für die Therapie festgelegt und die hierzu erforderlichen therapeutischen Interventionen. Alles wird in einem Behandlungsplan festgehalten. Regelmäßig wird die Zielerreichung gemeinsam überprüft. Im therapeutischen Prozess kann es immer wieder vorkommen, dass sich Ziele verändern oder neue Ereignisse auftreten, die eine Neuadjustierung von Zielen oder dem Behandlungsplan erforderlich machen.

 

Therapeutischer Prozess

Im therapeutischen Prozess geht es darum, die in der Therapie besprochenen Übungen im Alltag umzusetzen. Dysfunktionales Denken (z.B. selbstabwertende Gedanken) und Handeln (z.B. selbstschädigendes Verhalten) soll abgebaut und funktionales (zieldienliches) Denken und Handeln aufgebaut werden. Jede psychische Erkrankung bringt i.d.R. problematisches Verhalten mit sich, welches sich negativ auf die Betroffenen auswirkt. Anfangs können therapeutengeleitete Übungen stattfinden, sukzessive sollte aber der Patient/ die Patientin auch weiter alleine üben. Es gilt dann, Erfolge und Misserfolge gemeinsam zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten zu entwickeln. 

 

Therapieende 

Das Ende der Therapie sollte frühzeitig eingeleitet werden. Der Patient oder die Patientin, die im Verlauf immer mehr an Selbstmanagement hinzugewonnen hat, sollte zunehmend in die Rolle des eigenen/ der eigenen Therapeuten/in gefunden haben.

Manchmal kommt es vor, dass in der Therapie ein Stillstand erreicht wird. Sowohl Therapeut als auch Patient merken "es geht nicht wirklich weiter" oder aber "es könnte unendlich so lange weitergehen ohne das aber wirklich etwas passiert". Hier sollten beide gemeinsam analysieren, warum dem so ist und welche Möglichkeiten es nun gibt.

Ist die Therapie bereits so weit fortgeschritten, dass nur noch wenige Stunden vom Gesamt- bzw. Höchstkontingent (in der Regel 60 Sitzungen, maximal 80 Sitzungen in einer Verhaltenstherapie) offen sind, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem eine Veränderung erfolgen sollte. Patienten haben dann die Möglichkeit zum Beispiel ein Verfahrenswechsel zu vollziehen, das heißt ein anderes therapeutisches Verfahren durchzuführen.